Kurz vor der Entscheidung der EU-Kommission über die künftige Behandlung von Kernenergie hat sich Binnenmarktkommissar Thierry Breton dafür ausgesprochen, Atomstrom als klimaneutral einzustufen. „Es ist schlicht nicht machbar, unsere Stromkapazitäten ohne Kernkraft zu verdoppeln”, sagte der Franzose im Interview mit dem Handelsblatt und einigen anderen Wirtschaftsmedien. 26 Prozent unserer Energieversorgung würden derzeit von Nuklearreaktoren. „Um die Klimaneutralität zu erreichen, müssen wir alles nutzen, was uns zur Verfügung steht”, mahnte Breton.
Die EU will im Dezember in der sogenannte Taxonomie festlegen, welche Investitionen künftig als grün gelten. Diese Einstufung könnte für die Finanzierung neuer Kraftwerke weitreichende Folgen haben. Frankreich, das in seiner Klimastrategie stark auf Atomenergie setzt, fordert vehement, Nukleartechnologie als nachhaltig zu klassifizieren. Deutschland ist dagegen. Es droht ein heftiger Streit mit der neuen Ampel-Koalition.
Angesichts hoher Energiepreise und anhaltender Lieferengpässe in der Industrie sieht Breton ein „starkes Inflationsrisiko”. Das werde eines der wichtigen Themen im kommenden Jahr sein. Um die Lieferprobleme zu lindern, setzt er sich für eine Stärkung der europäischen Chipindustrie ein. Breton kündigte an, im ersten Quartal des kommenden Jahres den EU-Chips-Act vorzulegen, der Subventionen erleichtern soll. „Wir wollen die gleichen Förderungen bieten können wie die USA, Japan, China und Korea”, betonte er.
Vor dem Hintergrund der alarmierenden pandemischen Lage und der hohen Nachfrage nach Auffrischungs-Impfungen versicherte der Kommissar, dass der Impfstoffmangel endgültig überwunden sei: „Wir stellen jetzt 300 Millionen Impfdosen pro Monat her und es werden noch mehr, sodass wir bald vier Milliarden Dosen pro Jahr ausliefern können.”