Die Künstlerin Hito Steyerl sieht die Demokratie durch Monopolisten in sozialen Netzwerken und der Kryptobranche gefährdet. »Informationsfluss und Desinformationsfluss werden maßgeblich von gewinnorientierten, polarisierenden Algorithmen gesteuert. Wenn eine demokratische Gesellschaft keine Instrumente hat, die sie zum Gegensteuern einsetzen kann, ist das treudoof«, so Steyerl im Gespräch mit dem SPIEGEL. Diese Tendenz sei von der Pandemie noch verstärkt worden. »Der telegramverstärkte Wahn der Coronaleugner kostet momentan ganz konkret Menschenleben.«
Steyerl glaubt, bald werde das Internet durch Klimaeffekte ausgehöhlt. Darauf sei aber kaum jemand vorbereitet. »Ein Hurrikan oder Waldbrand reicht, und die Leute sind eine Weile vom Netz. Da hilft dann auch kein Kryptowallet weiter. Viele Menschen denken, das Internet sei immer irgendwie da, aber das wird nicht unbedingt so bleiben«, so Steyerl.
Steyerl, die in ihren Werken auch mit künstlicher Intelligenz und Blockchaintechnik arbeitet, findet die Hysterie um extrem hochpreisige NFT-Kunst sturzlangweilig. »Ich glaube nicht, dass das jemand ernsthaft für Kunst hält. Da wird eine neue digitale Infrastruktur aus dem Boden gestampft, und so mancher hofft auf Spekulationseffekte. Die NFTs sind das Äquivalent zu den Sammelbildchen, die es während der WM beim Discounter an der Kasse gibt, nur teurer.«
Im Oktober wollte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Filmemacherin, Autorin und Professorin der UdK Berlin mit dem Bundesverdienstkreuz ehren, doch Steyerl lehnte ab. Die Parole »Kultur ist Lebenselixier für alle« habe sie »zum Fremdschämen« gefunden. In der Pandemie sei Kultur zuerst und am längsten hintangestellt worden. »Viele verloren die Existenzgrundlage. Die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes wirkt da wie eine reine PR-Maßnahme.«